Um es gleich vorweg zu nehmen: Nein, ich bin kein Anzug tragender Funktionär der DFL (wobei,
schade eigentlich, die verdienen recht gut, wie ich hörte), der kurz vom Audi A8 in den Vip-Bereich
eines Stadions dipt, ein wenig netzwerkt und sich wieder heimlich durch die Vip-Area verkrümelt.
Ich bin aber ebenso wenig ein stets betrunkener Fanblock-Stehplatz-Hooligan, der sich sein Bier mit
dem Auge öffnet, seine Kippe auf dem Unterarm ausdrückt und mit 2,8 Promille eine Silvester-
Rakete aus der Hand zündet. Nur, um mal beide Extreme gleich auszuschließen. Ich bin
wahrscheinlich etwas mehr als ein Durchschnittsfan, konsumiere so ziemlich alle Spiele aus der
Bundesliga und der Championsleuague, schaue gern Serie A, Primera Division, Premier Leauge und
Ligue 1. Ich war schon etliche Male in irgendwelchen Stadien und tue mir auch immer mal wieder
den Hauptstadtclub Hertha BSC live an (ja, jetzt ist es raus!).
Kurz gesagt, ich denke schon, dass ich über das Projekt „Sicheres Stadionerlebnis“ mitreden darf.
Und nun geht es los, das Lavieren, Rummeckern und Aufschreien. Auf der einen Seite die Politik
und die DFL, die sich davor hüten sollte, Konsumenten, Fans und Ultras gleichzusetzen, auf der
anderen Seite eben jene, die sich davor hüten sollten, alle Alarmsignale und Anzeichen einer
Negativ-Entwicklung zu verharmlosen, wie der Besitzer eines tollwütigen Pitbulls, der der Familie
noch kurz vorm Unglück zuruft: „Keine Angst, der will nur spielen!“
Die Fans schreien bei jeder kleinen, sich abzeichnenden Veränderung sofort auf, dass englische
Verhältnisse drohen, womit sie wahrscheinlich meinen, dass eine durchschnittliche Eintrittskarte
bald 60,00 € kosten wird, nur noch besser verdienende ins Stadion gehen können und eine
Totalüberwachung droht (Videoüberwachung, personalisierte Tickets, etc.) Und irgendwo haben sie
ja auch recht. In den letzten Jahren ist es schon auffällig geworden, dass der Fußball auch
hierzulande in einem Maße kommerzialisiert wird, bei dem fast vergessen wird, worum es
eigentlich geht: Fußball.
Stadien heißen wie Versicherungsgesellschaften, jede Ecke, jeder Einwurf,
jedes Foul wird auf der Stadionleinwand von irgendeinem Werbepartnern präsentiert und vom Preis
für ein Trikot, welches sich natürlich jedes Jahr hier und da verändert und der Aktualität Willen
jedes Jahr neu angeschafft werden möchte,, will ich gar nicht erst reden (Hallo? 85,00 € für ein
Pestizid-verseuchtes Trikot, dass Ihr in Bangladesch für 0,30 € herstellen habt lassen? Tickt Ihr
noch ganz sauber?! Dann stellt es für den Preis doch wenigstens so her, dass die Näherinnen und
Näher auch davon leben können!). Es droht eine Entwicklung, bei der die Stimmung machenden
Fans (ich rede bewusst nicht von „echten“ Fans, weil da bereits ein Definitionsproblem beginnt –
was ist ein „echter“ Fan?) auf der Strecke bleiben. Ich gebe Ihnen jedoch nur sehr bedingt recht.
Was ist denn mit der anderen Seite, wo italienische Verhältnisse drohen? Übermächtige Fan-
Organisationen, die den Vereinen ihre Forderungen diktieren. Sicherheitsstandards in Stadien, die
diesen Namen nicht annähernd verdient haben. Fast wöchentliche Ausschreitungen, bei denen
Schwerverletzte wahrlich keine Ausnahme sind. Ich war im Giuseppe Meazza Stadion, im Stadio
delle Alpi und im Stadio Olimpico in Rom und habe mir dort Spiele angeschaut. Sicher habe ich
mich dort nicht gefühlt. Unvergessen und ein trauriger Höhepunkt des Machtbeweises der Ultras
war der Abbruch des Derbys Roma-Lazio vor Jahren, in dem einige Fangruppen das unwahre
Gerücht verbreiteten, ein Carabiniere (Polizist) sei für den Tot eines kleinen Mädchens
verantwortlich gewesen. Die Fans machten trotz Dementi durch die Offiziellen so lange Radau, bis
das Spiel abgebrochen wurde und das Gebiet um das Stadion herum vor lauter Ausschreitungen
aussah, wie eine Stadt im Bürgerkrieg.
Vergessen wir auch nicht, wie „stolz“ die (rechten) Lazio-
Fans jahrelang darauf waren, es jahrelang erfolgreich verhindert zu haben, dass in diesem Verein ein
dunkelhäutiger Spieler aufläuft. Die logische Folge aus dieser Entwicklung in Italien, bei der viel zu
lange weg geschaut wurde und sich noch heute dem Druck und der vermeintlichen Macht der
Fanclubs gebeugt wird, ist, dass Familien und gemäßigte Fans sich die Spiele des eigenen Vereins
seither lieber im Pay-TV anschauen und die Stadien leerer und leerer werden.
Auch nicht besser,
wenn nur die Fans bleiben, mit denen man die Stimmung assoziiert. Ich sage nicht, dass so etwas
auch hierzulande unmittelbar droht, aber: Wehret den Anfängen! War es nicht ein Manuel Neuer
(der Nationaltorhüter!) der bei den Bayernfans eine Art Kodex abnicken musste, niemals das
Wappen des Vereins zu küssen, nicht in die Südkurve feiern gehen zu sollen, etc. Geht’s noch?!
Irgendwelche Fans dürfen jetzt Nationalspielern drohen, sich ja an irgendwelche Vorgaben von
Fußball-Fans zu halten?! Lächerlich! Hätten die Hoffenheim-Fans etwa Tim Wiese abverlangen
können, sich endlich mal die Haare zu schneiden, bevor er das Trikot der TSG trägt (wobei das
noch einen Sinn ergeben hätte)?
Wir können ja mal Kevin Pezzoni, den ehemaligen Spieler des 1. FC Köln fragen, was er vom
Einfluss der Fans hält. Er hat den Verein nämlich verlassen, nachdem es die Fans waren, die mit
seiner Leistung nicht mehr zufrieden waren (ja, die Fans haben den Spieler weggemobbt, nicht etwa
ein Trainer) Absurd. Sehen wir mittlerweile nicht fast jede Woche irgendwelche Ausschreitungen,
wenn auch nicht immer in der ersten Liga? Ich muss als gemäßigter Fan also auch der DFL und der
Politik recht geben.
Es mutet doch wirklich seltsam an, dass gewisse Fans so sehr auf den Putz hauen. Ich meine, kürzen
wir es doch mal völlig emotionslos runter: Fußball ist ein Produkt. Alle Fans sind Konsumenten.
Das sind die Fakten. Wenn jetzt der Anbieter dieses Produktes entscheidet, dass an selbigem etwas
geändert wird, was hat der Konsument denn für Möglichkeiten? Ja, er kann das Produkt
boykottieren. Mehr aber eben auch nicht. Und wenn der Anbieter des Produktes wiederholt darauf
hinweist, dass etwa Pyrotechnik zu gefährlich ist und aus den Stadien verbannt zu werden hat und
sich Berliner, Dresdner, Kölner und andere daran nicht halten wollen, ist es der nächste logische
Schritt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Und, liebe Konsumenten, wir müssen dazu nicht
befragt und involviert werden.
Wir müssen das Produkt ja nicht konsumieren. Dann bleibt halt weg.
Sucht Euch einen andren Lebensinhalt. Ciao, Tschö, Au revoir und Adios. Aber kommt doch nicht
auf die Idee, dass der Sport oder der Stadionbesuch Grundrechte sind. Sind sie nämlich nicht. Und
jetzt mal ganz ehrlich, wenn ich die Wahl hätte, in England ein Spiel für 60,00 € zu schauen,
gemeinsam mit Familien, Videoüberwachung und ohne Pyrotechnik und ohne die vermeintlich
Stimmung machenden Fans, oder in Italien mit den vermeintlich ausschließlich Stimmung
machenden Fans, mit Pyrotechnik und maximalem Fan-Einfluss, glaubt mir, ich würde mich jedes
Mal mit Herz und Seele für die Premier League entscheiden.
Ich jedenfalls bin weit weg davon, dass von der DFL erstellte Konzept als Tod des Fußballs zu
verteufeln, wie es andere tun. Ob ich das Konzept deshalb als sinnvoll erachte, steht wieder auf
einem anderen Blatt.